Heiner mit dem Roller… Der erste Schultag. Aufgeregte Kinder versammelten sich hinten rechts vor dem Flachbau der Nikolausschule. Heute sagt man wohl Pavillon, damals war der Begriff Baracke schon eher angebracht. Links ein Klassenraum und rechts einer, ich kam in den rechten. Neben mir mein Freund Raimund. Wenigstens einer, den ich kannte. Der braune lederne Schultornister war viel zu groß für meine schmalen Schultern. Gefüllt war er mit den ersten Utensilien, die den neuen Ernst des Lebens unterstrichen, zum Beispiel eine Schiefertafel und eine Handvoll Griffel. Das kleine Schwämmchen baumelte am Riemen. Die wenigsten Kinder hatten Schultüten dabei. In den 60er Jahren wurde eben noch nicht soviel Aufhebens gemacht, wenn ein Kind in die Schule kam. Nervöse Mütter. Vielleicht waren sie stolz auf ihre Kinder, vielleicht hofften sie aber auch nur, dass die Prozedur bald vorbei wäre. Zuhause wartete eine Menge Arbeit. Schließlich hatten die älteren Kinder gleich Schule aus und würden hungrig nach Hause kommen und der Jüngste musste auch noch von der Nachbarin abgeholt werden.
Am Tag zwei wurden die Fibeln verteilt. Sieben an der Zahl. Gleich im ersten Heft auf der ersten Seite Heiner. Da ist Heiner. Heiner ist da. Heiner mit dem Roller. Ein Junge, der so aussah, als spiele er bei Borussia Dortmund Fußball. Schwarze Shorts, gelbes Trikot. Eine Seite weiter seine Freundin Gerda und schnell kommt auch Lumpi, der Hund ins Spiel. (Beim Durchblättern der Hefte fällt mir irgendwann auf, das Heiner, Gerda und Konsorten selbst auf dem Martinszug in Heft Nummer fünf noch Sommerkleidung tragen. Waren wir damals abgehärteter? Oder hatte der Lektor versagt?). Wie dem auch sei, wir bekamen eine erste Arbeitsanweisung. »Holt eure Tafeln und malt Heiner mit dem Roller.«
Jetzt war ich in der Klasse nicht nur der Kleinste, wohl auch ziemlich langsam und vor allem sehr genau. Mich wunderte etwas die fehlende Zeitvorgabe, aber ich begann eifrig mit dem Rad von Heiners Roller, dann mit dem Reifen drumherum, danach widmete ich mich den Speichen. Alles nicht größer als drei, vier Millimeter. Und dann?
»Dann«, sagte die Lehrerin Frau Jungmann, »dann, lasst mal sehen.« Und ging durch die Reihen. Bei mir stutzte sie etwas und meinte: »So, der Thomas wolllte wohl nicht mitmachen.«
Ich war entsetzt, fühlte mich ungerecht behandelt, traute mich aber auch nicht zu dementieren und handelte mir deshalb gleich zu Beginn meiner Schulkarriere meine erste Strafarbeit ein.
Die Geschichte ist rührend und sie gefällt mir.
Übrigens mussten wir unsere Griffel und Schwämmchen regelmäßig vorzeigen und wurden “ getadelt“, wenn sie nicht in Ordnung waren. Ich fand das immer lästig!
Es gab auch nette Dinge und damit meine ich die berühmten Fleißkärtchen. Wahrscheinlich hat jeder irgendwelche netten Erinnerungen :-).