Mein Dezember, Teil 9

Fresko

Die große Leidenschaft des Kinderbuchillustrators Stepan Zavrel war die Freskenmalerei. Auf großen Flächen in nassen Putz seine Welt hinein malen, das war sein Leben. Die Geschichten um den Exiltschechen, der in Venetien eine neue Heimat gefunden hatte, sind aberwitzig.

Einmal soll ein reicher Bauer aus Vittorio zu ihm gekommen sein und winkte mit einem großen Auftrag. Die Giebelwand seines großen Hauptgebäudes sei fensterlos und weiß. Was es denn kosten würde, wenn Stepane ein Fresko schaffen würde – die Weihnachtsgeschichte wäre doch perfekt für einen guten Katholiken. Man leerte eine erste Flasche Wein und Stepan Zavrel diktierte seine Bedingungen.

„Für Stall und Krippe möchte ich 200 Flaschen Wein haben.“, soll Zavrel die Verhandlung eröffnet haben. „Für Mutter Maria bekomme ich 300 Flaschen. Josef kriegst du gratis dazu und für den ganzen Rest, Hirten, Schafe, Ochsen, Esel und so gibst du mir noch einmal 300 Flaschen. Aber wenn du möchtest, dass ich dir das Jesuskind, den Sohn Gottes in die Krippe lege, zahlst du 500 Flaschen extra und zwar vom besten Wein, den du hast.“
Der Bauer rechnete und am darauffolgenden Nachmittag soll er mit Traktor und Hänger gekommen sein um 1300 Flaschen Wein zu liefern.

Ich hatte die Geschichte natürlich nie vergessen und nie wirklich geglaubt. Irgendwann ergab sich die Möglichkeit sie zu verifizieren. Ich traf Stepan Zavrel in einem kleinen Hotel, im Albergo Fratte in Fregona und wir aßen zu Abend. Erst tat Stepan Zavrel so, als würde er nicht verstehen. Das tat er oft, wenn er über eine Geschichte nicht wirklich reden wollte. Dann sagte er nur: „Alles Quatsch! An der Sache ist nichts dran. Irgendwo von muss ich doch leben. Mein Prinzip war immer, lediglich die Hälfte in Naturalien, die andere Hälfte cash.“
Wir tranken noch eine Weile und flüsterten über die Bedienung mit den wunderschönen großen rehbraunen Augen, lachten viel und spät in der Nacht wollte ich ihn einladen und bezahlen. Er winkte ab.
Ob ich beleidigt oder ungläubig geschaut habe, weiß ich nicht mehr genau. Er zeigte aber nur mit dem Kopf auf die Wand hinter mir und sagte: „Ich muss hier nicht zahlen!“
Ich drehte mich um. Im hinteren Teil des Raumes zierte ein Fresko in einer Größe von mindestens zwei mal sechs Metern die Wand.

Stepan Zavrel ist mittlerweile seit dreizehn Jahren tot. Er starb durch einen schweren Unfall. An Weihnachten würde er achtzig Jahre alt werden. Auf seinem Grabstein steht, er wäre unsterblich, durch das, was er geschaffen hätte. Gerade war ich wieder in Fregona. Das Bild in dem Hotel ist zumindest immer noch an der Wand und man ist sichtlich stolz darauf.

(Die Aufnahme ist aus dem wunderbaren Buch „Mit Gott unterwegs“ von Regine Schindler und eben Stepan Zavrel)

ts