Logbuch, Teil 2, Mittwoch, 16. Januar 2013

Neuer Abschnitt

Lässt sich das eigene Leben gliedern, auch wenn man sich bewusst ist, dass alle Grenzen fließen? Lassen sich neue Lebensabschnitte an bestimmten Tagen fest machen oder an bestimmten Ereignissen? Und wenn ja, was sind das für Begebenheiten?
Den ersten bewussten Schnitt im meinem Leben gab es mit vier und läutete eine heftige Trotzphase ein. An einem lausigen Oktobermorgen erklärte ich meiner Mutter, das Wasser sei mir definitiv zu kalt und ich würde mich fort an nie, nie wieder waschen.


Der zweite Schnitt kam verzögert. An meinem zehnten Geburtstag – ein warmer sonniger März-Mittwoch – lief ich hinaus auf die Straße und erklärte jedem der es hören oder nicht hören wollte, ich sei nun erwachsen. Mein Freund Thomas, ein knappes Jahr jünger, ein bisschen tumber aber leider einen Kopf größer als ich bestand allerdings darauf, dass ich erst erwachsen wäre, wenn er es auch sei. Er unterstrich seine Aussage mit seiner Faust in meinem Gesicht. Ich musste also noch zehn Monate im Stadium des Kindseins ausharren.

An einem Sonntag im Mai, da war ich Anfang zwanzig, stand ich am Rande eines Bolzplatzes als ein Junge mich rief: Hey, Sie, wollen Sie mitspielen?
Er konnte unmöglich mich gemeint haben. Mich sietzt man nicht! Aber, was soll ich sagen, außer mir war da keiner und der Junge rief ein zweites Mal: Hey Sie, ja Sie, jetzt stellen Sie sich nicht so an, wir brauchen noch einen Mann!

Ich erspare Ihnen weitere Schockerlebnisse, nach denen nichts mehr so war, wie noch gerade eben. Auch den Wechseltag eines Mannes streife ich nur am Rande. Im Gegensatz zu den Wechseljahren einer Frau ist es beim Mann ja nur ein einziger Tag, nämlich der, an dem er zum ersten Mal zum Urologen geschickt wird und an den freundlich lächelnden Arzthelferinnen erkennt, die meinen gar nicht mich. Die lächeln immer und schauen einfach durch mich hindurch. Habe ich alles hinter mir.

Aber am vergangenen Samstag hat es mich wirklich aus der Kurve gehauen: ich stand an der Kasse eines Museums und die freundliche junge Mitarbeiterin des Hauses strahlte mich an, nur um im selben Moment nach meinem Seniorenpass zu fragen, damit sie mir eine Ermäßigung geben könne. Ich lächelte gequält zurück und zahlte den vollen Betrag. Man hat ja seinen Stolz. Auch noch im hohen Alter.

Trotzdem, langsam werde ich mich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass meine Uhr tickt, die Zeit langsam abläuft und überlege gerade, ob ich mich als Vorbereitung schon einmal von meinem Kollegen Thomas Buchert mit einem Rollstuhl durch die Buchhandlung schieben lasse.
Was meinen Sie?